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Zwergengeschichten (Ein Auszug)

von Torsten Geiling

gesendet im Betthupferl des Bayerischen Rundfunks

 

Es war einmal . . ., so beginnen Märchen. Doch die Geschichte, von der ich euch erzählen möchte, hat sich vor langen, langen Jahren in Franken zugetragen, als selbst euer Großvater noch nicht auf der Welt war.

 Die Zeiten damals waren hart. Die meisten Familien lebten in Armut. Sie wohnten in kleinen Hütten ohne Strom und waren von Wind und Wetter abhängig. Wie die meisten im Dorf lebten auch der sechsjährige Rudolf, seine fünf Schwestern und die Eltern hauptsächlich von Kartoffeln, die sie auf einem kleinen Feld anbauten. Die Arbeit war beschwerlich, denn Maschinen gab es damals noch nicht. Deshalb mussten die Kinder nach der Schule den Eltern häufig beim Säen, Jäten und Ernten helfen. Und abends, wenn alle müde nach Hause kamen, hatte Rudolf noch die Tiere zu versorgen. Oft blieb zum Spielen keine Zeit.

 Eines Tages, als der Junge erschöpft nach Hause kam, war ihm sonderbar zumute. Er wusste erst gar nicht was es war. Der Stall, wo die Kuh, die vier Schweine und die sieben Hühner auf Futter warteten, lehnte noch genauso schief am Bauernhaus wie immer. Doch dann fiel es ihm plötzlich auf: Es war so seltsam still. Kein Muhen, kein Quieken, kein Kikeriki. „Komisch“, dachte Rudolf, „sonst begrüßen mich die hungrigen Tiere doch immer mit einem lauten Geschrei.“

 Als er die Tür zum Verschlag öffnete, traute er seinen Augen nicht. Die Kuh und die Schweine standen in ihren Ställen und kauten genüsslich frisches Gras. Und die Hühner pickten nach Würmern in einem frischen Haufen aus Mist. „Seltsam“, sagte Rudolf zu sich selbst. „Wer hat mir denn die Arbeit abgenommen?“ Er schaute in alle Ecken des Bauernhofes, doch es war niemand zu sehen. Als am Abend die Eltern und die Schwestern vom Feld kamen, erzählte er von der wundersamen Fütterung der Tiere. Doch auch die restliche Familie konnte sich keinen Reim darauf machen.

 Gespannt lief Rudolf am nächsten Abend zum Stall. „War der hilfsbereite Fremde wieder da gewesen?“ Und tatsächlich, die Arbeit war schon erledigt. Das ging eine ganze Woche so. Rudolf konnte es sich nicht erklären und freute sich einfach, dass er Zeit hatte, um zu spielen. Als er sich in der hintersten Ecke des Stalles vor seinen Schwestern verstecken  wollte, entdeckte er im Staub den Abdruck eines winzigen Schuhs. Wem mochte wohl dieser winzige Fuß gehören? Rudolf wurde neugierig.

 Am nächsten Tag kroch er im Stall ganz tief ins Stroh – und wartete und wartete und wartete. Fast wäre er eingeschlafen, als plötzlich die Stalltür von einer zierlichen Hand geöffnet wurde. Mit trippelnden Schritten kam drei Gesellen in bunten Kleidern herein und gaben den Tieren Futter. Es waren keine Kinder und auch keine abgebrochenen Riesen, das sah Rudolf gleich. Mit ihren farbenfrohen Zipfelmützen und den langen weißen Bärten bis zum Knie konnten es nur Zwerge sein, von denen ihm seine Großmutter immer erzählt hatte. Obwohl die Wichtel nicht größer als die Puppen seiner Schwestern waren, verrichteten sie die Arbeit im Nu. Und genauso flink und lautlos wie sie gekommen waren, verschwanden sie auch wieder.

 Die Freude über die helfenden Hände war vor allem bei den Kindern im Dorf groß, da sie weniger arbeiten mussten. Denn die Zwerge molken auch die Kühe auf den anderen Bauernhöfen. Endlich hatten die Kinder wieder Zeit herum zu tollen. Und ein lange vermisstes Geschrei und Gelächter von glücklichen Kindern drang von Hof zu Hof, als Rudolf mit den anderen Fangen und Verstecken spielte. Und nicht weit entfernt, im Schatten des Berges, freuten sich drei Zwerge mit ihnen.

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