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Italienisch am Kochtopf

von Torsten Geiling

Vitello tonnato, Minestra di pomodoro, Ossobucco alla milanese: Im Hotel Kolb in Zeil am Main kann man zwar keine Italienischkurse belegen, dafür aber richtig gut kochen lernen, zum Beispiel wie ein Italiener. Denn seit fast zwei Jahren weiht der Koch Erec Jakobson Interessierte im elterlichen Betrieb in die Geheimnisse seiner Küche ein.

 Sein Schlaraffenland liegt gleich hinter dem Empfang. Anders als im Märchen ist es zwar nicht von einer dicken Mauer aus Reisbrei umschlossen. Aber dennoch schneit es dort feinen Puderzucker, es hagelt Eigelb und regnet Sahne und Vanille. Denn das erste Unwetter auf dem Weg zu einem sonnigen Fünf-Gänge-Menü ist an diesem Tag das Dessert: Panna Cotta mit Espresso-Eisparfait.

 Kochen ist für Erec Jakobson nicht einfach nur das Zubereiten von Nahrung. Bei ihm spiegelt sich im Kochen und Essen das Leben wider, schließlich heißt es nicht umsonst: Man ist was man isst.

 Bereits seit drei Jahren bietet der junge Koch Menüs der besonderen Art. Nach zehnjähriger Wanderschaft durch Spitzenhotels- und –restaurants war er nach Zeil zurückgekehrt, wo er mit seiner Küche eine Symbiose mit der örtlichen, aber auch überregionalen Kultur eingehen wollte, die er bisweilen auf deutschen Speisekarten vermisst. Deshalb paart er seine Kreationen mit Weinproben und Kabaretts oder versucht bis zu zehn Gastköchen gleichzeitig von seiner Philosophie kosten zu lassen.

 Heidi, Helmut oder Rainer heißen sie heute. Birgit und Erwin sind sogar aus der Nähe von Hannover angereist, da es solche Kochkurse bei ihnen in der Gegend nicht gibt. Normalerweise ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgeglichen. „Die Männer bekommen zumeist von ihren Ehefrauen einen Gutschein geschenkt, damit sie auch mal kochen“, grinst Erec.

 So ist es auch Günther ergangen, der auf seine blaue Schürze gerade das Schild mit seinem Vornamen klebt. „Einen Rang gibt es bei mir in den Küche nämlich nicht“, meint Erec, der eigentlich immer einige Jahre jünger als seine Lehrlinge ist, „und es kann auch jeder selbst entscheiden, ob er sich vordrängelt oder lieber weniger arbeiten will.“

 Dann drückt ihnen der Küchenchef eine Übersicht mit den Rezepten für die einzelnen Speisen in die Hand, welche unter der Überschrift „Mediteranes Menü“ stehen. „Die Mengenangaben fehlen noch. Die kann jeder selbst mitschreiben. Schließlich wollt ihr ja etwas lernen.“

 Und ein erstes Zutatengewitter zieht sich über den Blauschürzen zusammen: Einen Liter Sahne mit zwei Vanilleschoten und 120 Gramm Zucker aufkochen und dann abseien. Sechs Blatt eingeweichte Gelatine einrühren und mit einem Schuss Grand Marnier abschmecken. Fertig ist das Panna Cotta. „Da sind jetzt aber viele Kalorien drin“, meint Günther, worauf der Chefkoch trocken entgegnet: „Also ich habe keine rein. Habt ihr etwas anderes gesehen?“

 Das Gelächter ist groß und das ist gut so, schließlich spielen Spaß und Freude eine wichtige Rolle in Erecs Feinschmeckerküche. Nach dem Eisparfait folgt die klare Tomatensuppe mit Pesto-Nockerln.

 Erec drückt Erwin den Sellerie, Rainer die Karotten, Heidi und Birgit die Zwiebeln und Günther den Knoblauch in die Hand und zeigt ihnen, wie man richtig schnippelt. „Die Fingerkuppen immer nach unten und dann mit dem Messer Rollbewegungen machen, damit die Pflanzenstruktur nicht zerstört wird“, sagt er und diktiert seinen Schülern neue Mengenangaben in den Block. „Und wo sind die Tomaten“, fragt einer aus der Runde. „Nehmen wir aus der Dose. In dieser Jahreszeit schmecken die viel besser“, meint Erec und fährt mit dem Diktat fort.

 Bisweilen fühlt man sich an seine Schulzeit erinnert: Schreiben, rechnen und immer wieder vom Nachbarn spicken, weil man nicht alles mitbekommen hat. „Wie viel Zucker war das gleich noch mal? Zwei Handvoll?“

 „Nein, drei!“ An Zucker, Salz und anderen Gewürzen spart Erec nämlich nicht. „Da hat jeder Koch seine eigenen Philosophie. Ich würze bis an die Grenze, denn dann schmeckt es mir und vielen meiner Gäste eben am besten“, sagt der Chefkoch. Und tatsächlich: Obwohl es die Hobby-Köche anfangs gar nicht glauben können, ist es zuhause wohl häufig die zu sparsam eingesetzte Würze, die viele Speisen langweilig und träge auf der Zunge liegen lassen.

 „Zucker ist ein Geschmacksverstärker, der vor allem bei Paprika, Brokkoli oder auch Kohlrabi nie fehlen sollte“, meint Erec, „und dann sind natürlich Fett und Öl wichtig.“ Davon gibt er jede Menge an die Kalbshaxenscheiben, die er gerade anbrät, bevor sie zum Schmoren in den Ofen kommen.

 „Zwei Sekunden am Gaumen, ein Leben lang auf der Hüfte.“ Aber das ist heute egal. Es wird probiert was die Löffel hergeben. „Das ist das Schönste am Kochen“, meint dann auch nicht nur Erec. Klar, der Genuss kommt erst am Abend beim Essen, an der festlich gedeckten Tafel. Doch so ein bisschen Vorfreude darf man sich zwischendrin schon holen, denn Probieren ist ausdrücklich erwünscht und vor allem nötig, um die Speisen richtig abschmecken zu können. Selbst bei Profiköchen.  

Mittags gibt es einen kleinen Imbiss: Selbstgemachte Nudeln mit einer vegetarischen Soße und Pesto, die Erec natürlich beide selbst gemixt hat. Dieser Satz ist aber eigentlich überflüssig, da im Restaurant Kolb fast alles aus eigener Herstellung ist – von der Hühnerbrühe bis zum Ciapatta-Brot.  

Nach der Pause wartet noch eine große Herausforderung: Aus dem roten Eintopf, der inzwischen im Kühlhaus an Temperatur verloren hat, soll eine klare Tomatensuppe werden. Hierfür gibt das Team 14 angeschlagene Einweiß in den Topf und kocht das ganze auf, bevor die Suppe, völlig klar, durch ein sehr feines Sieb und ein Passiertuch rinnt.

 Bereits eine halbe Stunde später wird die „Minestra di pomodoro“ im Nebenraum serviert. Dort haben die Kochkursteilnehmer mit ihren Lieben Platz genommen, um ihr selbst zubereitetes mediterranes Menü bei Kerzenschein und einem guten Glas Wein zu genießen. „Und da sind wirklich Tomaten drin“, fragt eine Stimme zweifelnd, bevor sie probiert, „ man sieht es nicht, aber es schmeckt wirklich so. Das ist ja fast wie im Märchen“.

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