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von
Torsten Geiling
Fußball
kann so einfach sein: Das Runde muss ins Eckige. Doch am vorletzten Spieltag
dieser Saison hat uns Francis Kioyo vom TSV 1860 München einmal mehr gezeigt,
dass auch im Sport vieles eine Kopfsache ist, als er mit einem Fehltritt vom
Elfmeterpunkt seinen Klub in die zweite Liga schoss.
Der
Kampf gegen den Abstieg und um den Meistertitel ist nämlich in erster Linie
eine Frage der Nerven. Nach Erkenntnissen aus der Psychologie wird im
Leistungssport ein Spiel zu 80 Prozent im Kopf und nur zu 20 Prozent durch die körperliche
Verfassung entschieden. Dieses Wissen wollte Christoph Daum in der Saison
1999/2000 im Titelkampf nutzen, als er die Bayer-Profis zur Stärkung ihrer
Willenskraft unter der Anleitung des Motivations-Gurus Jürgen Höller mit
nackten Füßen über Scherben laufen ließ. Wenige Tage später standen
Leverkusens Spieler jedoch vor einem ebensolchen Haufen, als der Traum von der
ersten deutschen Meisterschaft durch eine Niederlage in Unterhaching zerbrach.
Warum
ging der Schuss nach hinten los? „Weil so etwas nur von den eigentlichen
Problemen ablenkt“, meint Dr. Michael Kellmann. Der Sportpsychologe von der
Uni Bochum hält diese Motivationsmethoden für unseriös, kontraproduktiv und
schreibt ihnen, wenn überhaupt, nur einen kurzfristigen Effekt zu. Stattdessen
empfiehlt der Experte zur Leistungsoptimierung beispielsweise eine
handlungsorientierte Gesprächstherapie.
Aber
reden ist nicht gleich reden, das merkte auch Walter Winterbottom. Der
Nationaltrainer Englands nervte seine Spieler mit regelmäßigen 90 Minuten
langen Besprechungen so sehr, dass die Jahre zwischen 1946 und 1963 als die
erfolgloseste Zeit im englischen Fußball einging, und Mr. Winterbottom von der
Trainerbank an die Tafel des „Dinner for one“ verbannt wurde.
Mentales
Training ist in Teilen der Trainerzunft inzwischen schick geworden. Anstatt
jedoch auf professionellen Rat zu vertrauen, drehen die Hobby-Psychologen lieber
selbst an den Stellschrauben der Psyche ihrer Profis - als ob ein Keeper genauso
gut Tore schießen könnte wie ein Stürmer.
„Ich
kann auch zwischen positivem und negativem Stress unterscheiden – und Spielern
helfen. Sobald ein Psychologe ankommt, fühlt sich ein Profi doch sowieso als
Kranker,“ wiegelt Peter Neururer, der Trainer des Uefa-Cup-Qualifikanten VfL
Bochum, in der Abendzeitung die Diskussionen über die Verpflichtung von
Mentaltrainern ab. Und Volker Finke vom FC Freiburg meint zu diesem Thema nur:
„Die können aus vielen Hühnern auch keine Adler machen“.
Wohl
in Anbetracht dieser Erkenntnis und nach dem Motto „Hilf Dir selbst, dann
hilft Dir der Fußballgott“ versuchte bereits 1993 Klaus Toppmöller sein Team
bei seinem Debüt als Bundesligatrainer in Frankfurt mit einem lebenden Adler zu
motivieren, den er zum Training mitbrachte. Die Spieler sollten die
Eigenschaften des Raubvogels, der auch das Wappentier der Eintracht ist, künftig
auf dem Rasen zeigen. Das Ergebnis war eher bescheiden: Nach einem kurzen Höhenflug,
folgte der Absturz und Toppmöller musste gehen.
Mit
einer Wandervogel-Pädagogik hatte es dreizehn Jahre zuvor bereits Karl-Heinz
Heddergott probiert. Als Trainer des 1. FC Köln wollte er die Kameradschaft
durch das Absingen von schwungvollen Liedern aus der Gründerzeit des DFB stärken.
Doch aus dem Gemeinschaftschor wurde bereits nach acht Spieltagen ein Solo.
Auch
Ralf Rangnick gab sich als Trainer von Hannover 96 in der Saison 2002/03 im
Abstiegskampf mental aufgeschlossen: Damit sich seine Spieler auf dem Platz
nicht so alleine fühlen, sollten sie den Namen einer ihnen nahe stehenden
Person auf einen Zettel schreiben und diesen hinter die Schienbeinschützer
klemmen. Immerhin – abgestiegen ist das Team nicht.
Als
nimmermüder Siegmund Freud der Trainergilde gilt jedoch Christoph Daum. Immer
originellere Blüten treibt dessen Psychologie-Latein: Als Coach des 1. FC Köln
nagelte er 23 Tausend-Mark-Scheine an die Kabinentür und brüllte: „Seht her,
dieses Geld wollen euch die Bremer wegnehmen“. Köln siegte mit 2:1 gegen
Werder. Meister wurden aber trotzdem immer die anderen.
Nicht
zuletzt deswegen stieß wohl Christoph Daum mit seinen Psycho-Tricks bei den
Profis von Austria Wien auf wenig Gegenliebe. Die reagierten befremdet auf die
Empfehlung ihres Coaches, sich künftig nicht mehr beim Vornamen zu nennen,
sondern sich mit „Hallo, Champion“ und „Hallo, Fighter“ anzureden. Mit
diesem Kampfnamen habe er in Leverkusen auch Erfolg gehabt, soll Daum ihnen erklärt
haben. Das sahen die Austria-Profis etwas anders und nannten den Trainer hinter
seinem Rücken nur noch „Vize“.
Fußball ist schließlich ein Sport für
echte Männer. Gesprächsrunden oder
vielleicht sogar Probleme wälzen mit einem Mentalcoach, dem steht bis heute die
Mehrzahl der Liga eher kritisch gegenüber. Ganz im Sinne von Ernst
Happel. Der ehemalige Trainer des HSV war kein Freund großer Worte. Als der
Spieler Hansi Müller ihn bat: „Trainer, wir müssen reden“, ließ ihn der
Grantler aus Wien mit den Worten stehen: „Wann’s reden wollen, müssn’s
Staubsaugervertreter werden; ich brauche Fußballer!“
Nicht
viel anders sah das einstige Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker, als er über
seinen Trainer Dietmar Cramer sagte: „Der trainiert zuviel die Hinterköpfe
der Spieler. Am Ende haben zwar alle das Abitur, aber der FC Bayern hat keine
Punkte.“
Deshalb hätte ihm sicherlich auch
die einfache Formel des künftigen Trainers des Rekordmeisters gefallen:
„Laufen, laufen und noch einmal laufen“. Darauf dürfen sich Ballack, Kahn
und Co. freuen, sollte Felix Magath beim FC Hollywood zu viele Starallüren,
Werbetermine oder nächtliche Dribblings außerhalb des Platz feststellen.
Damit die Profis gedanklich noch
fester an ihre Arbeit gebunden werden, hatte Magath beim VfB Stuttgart in der
Saison 2002/03 seinen Profis erst immer einen Tag vorher bekannt gegeben, ob und
wann Training ist. Und wer dennoch nicht bei der Sache war, der durfte wie Kevin
Kuranyi und Alexander Hleb schon mal zusätzlich eine halbe Stunde Seilhüpfen,
während die Kollegen längst unter der Dusche standen. Geschadet hat es ihnen
nicht, schließlich zählen sie zu den aufgehenden Sternen am Firmament der
Bundesliga-Stars.
Bevor also so mancher Trainer in die Kiste der Psycho-Tricks packt und seinen Spielern durch unsachgemäße Methoden den Kopf blockiert, sollte er vielleicht einfach dem schlichten Fußballverstand des Kaisers unter den Fußballphilosophen folgen. Der hatte als Teamchef seinen Nationalspielern vor dem WM-Finale gegen Argentinien in der Kabine gesagt: „Geht’s raus und spielt’s Fußball“. Deutschland siegte mit 1:0 durch einen verwandelten Elfmeter von Andy Brehme. Fußball kann so einfach sein.